Sandra Hauser Mein Schwein! Dec 1 2018 – Feb 23 2019
Plus meat display: Sophie Baumgärtner, Catherine Biocca, Gabi Blum & Paulina Nolte, Katie Jayne Britchford, Anna McCarthy, Damenkapelle / Edition Julia Pfaller, Lena Gätjens, Matthias Glas, Sandra Hauser, Kristina Heinrichs, Simone Kessler, Edie Monetti, Domino Pyttel, Lisa Reitmeier, Andrea Salvino, Lorenzo Scotto di Luzio, Wolfgang Stehle, Tatjana Živanović-Wegele.
Sandra Hauser
Mein Schwein!
Eröffnung Samstag, 1. Dezember 2018, 19 -22 Uhr // Ausstellung 4. Dezember – 23. Februar 2019
AUSLAGE Sophie Baumgärtner, Catherine Biocca, Gabi Blum & Paulina Nolte, Katie Jayne Britchford,
Anna McCarthy, Damenkapelle / Edition Julia Pfaller, Lena Gätjens, Matthias Glas, Kristina Heinrichs, Simone Kessler, Edie Monetti, Domino Pyttel, Lisa Reitmeier, Andrea Salvino, Lorenzo Scotto di Luzio, Wolfgang Stehle, Tatjana Živanović-Wegele
Die zweite Berliner Einzelausstellung von Sandra Hauser, „Mein Schwein!“, entlehnt sich motivisch dem Film „Porcile“ (1969) von Pier Paolo Pasolini sowie der vormaligen Nutzung des Ausstellungsraums. Bis in die 60er befand sich in der Galerie eine Filiale der ‚Ältesten Berliner Fleischwarenfabrik, A. Hefter (1853)‘, ‚Königlicher Hoflieferant‘ seit 1878, und nach dem ersten Weltkrieg mit rollender ‚Berliner Stadtküche‘ einer der ersten Caterer. Es ist daher ein Raum, „der eine unnachgiebige Geschlossenheit in sich trägt“ (Hauser). Im Rahmen der Einzelausstellung hat Sandra Hauser außerdem weitere Künstler um Werke für die Fleischauslage gebeten.
Er habe „Horror kristallisieren“ wollen, sagte Pasolini über „Porcile“, es sei ein „verstörender, und freundlicher Film“, der „weder Ergebnis noch Lösung“ anbiete. Darin montiert und verschneidet er parallel zwei Geschichten. Die erste, „stumme, meta-historische“: Ein Mann wird in einer staubigen Vulkanlandschaft ferner Zeit zum Kannibalen, und am Ende mit Dazugekommenen von der strafenden Dorfgemeinschaft den Hunden zum Fraß vorgeworfen. Der Kannibalismus - abgetrennte Häupter, geworfen in einen brodelnden Krater - wirkt wie ein drastischer Lapsus christlicher Ikonographie, einer Ur-Gesellschaft, oder ihrem Gegenteil. Die zweite, „sprechende, historische Episode“, gleichermaßen bestialischer und humoresker, berichtet von einer Großindustriellenfamilie in einer bourgeoisen Residenz in Bad Godesberg. (Nur rund 300 Meter entfernt von hier befindet sich die Berliner Kruppstraße.) Herr Klotz, im Dritten Reich Waffenschmied, verkauft nun „Käse, Wolle, Knöpfe, Bier“ und steckt in Fusionsverhandlungen mit seinem Rivale Herr Herdhitze, ehemaliger KZ-Arzt mit neuer Identität, Neokapitalist. Der katatonische Sohn von Klotz fühlt sich nur bei den Schweinen wohl und lässt sich zuletzt von ihnen mit Haut und Haar auffressen. Ein Ungehorsam ist nicht möglich.
Geflügel, Hammel, Schwein, Kalb, Leber, Zunge, Ohr, Krebs, Sülze, Gemüse in Aspik. Aus einem Rezeptbuch von A. Hefter, 1933: „Sehr verehrte Hausfrau! Sie können unbesorgt Kinder oder Hausangestellte dort zum Einkaufen (Einholen) senden, wo eine National Kontroll Kasse steht. Sie erhalten daselbst eine gedruckte Quittung“.
Die Werbeanzeigen geben Zeugnis einer sterilen Rollenverteilung und einer sich vollziehenden Automatisierung. Sagt der Industrialisierungsgrad der Fleischproduktion etwas über die Degeneration der Gesellschaft aus? Der Metzger nimmt nicht nur das Messer in die Hand und anderen die Tötung ab, sondern er preist das Fleisch auch an. Unser Verhältnis zu ihm ist so unmissverständlich wie irre. Es gründet auf Verbot und Empfehlung und ist längst an Maschinen delegiert. Nicht nur in den Schlachtbetrieben korreliert die Steigerung von Hygiene positiv mit der gestückelten Schweine-Masse.
Sandra Hauser, die als Bühnen- und Kostümbildnerin und in der Regie gearbeitet hat, bevor sie freie Kunst in München und Rom studierte, arbeitet ungewöhnlich themenbezogen, mit einer Affinität „zur Auslage des Besitzbürgerlichen“ und zur „Gratwanderung zwischen Seelenroman und Groschenroman“ (Stephan Huber). Sie widmet sich dabei Inszenierungen im eigentlichen Sinne: sie bringt Objekte, Situationen, Werke zur Anschauung, holt sie hervor, richtet sie öffentlich ein. Auch der illustrative Charakter der Zeichnung und Malerei, bei der man sich nicht ganz schlüssig ist, ob sie neu entstanden ist oder schon da war, erklärt sich aus diesem Zusammenhang. „Er schlief sein Leben lang im Bett seiner Geburt“, so der Titel einer Tusche-Zeichnung von 2014, der die Verbindung aus Poesie und Gewalt, vom bitteren Ernst und Humor ihrer Werke ausdrückt. Mittlerweile verlagert sich das frühere Interesse für Figuren in soziale Räume und deren kulturhistorische Dimensionen. In „Fahrenheit °451“ (2017) pflasterte Sandra Hauser einen Raum mit 950 Bibliotheks-Büchern, die von der Zweiten Französischen Republik bis in die 60er Jahre erschienen und nun im Keller des Bürgermeisters von Villemur-sur-Tarn dem stillen Verfall zugedacht waren. Ein Boden-Mosaik, das man nur lesen konnte, wenn man darüber lief; später verpflichtete sich die Gemeinde zu einem Archiv. Wie ein schwerer, blanker Körper steht die Zeit im Raum, von Schwindsucht befallen, wenn wir uns nicht ihr zuwenden.